Das Abrechnungssystem Dr. L

Das System ist denkbar einfach und für den Zahnarzt sehr bequem: er „verkauft“ seine Rechnung für eine zahnärztliche Behandlung an ein professionelles Abrechnungsunternehmen. Dieses zahlt ihm den Rechnungsbetrag – abzüglich eines geringen Honorars – innerhalb weniger Tage aus und macht die Forderung selbständig und mit eigenem Ausfallrisiko gegenüber dem Patienten geltend. Der Zahnarzt kann sich ganz seinen Patienten widmen und muss seinem Geld nicht „hinterher laufen“. Kommt es zwischen dem Abrechnungsunternehmen und dem Patienten bei der Einziehung der Honorarforderung ausnahmsweise einmal zum Streit, ist der Zahnarzt nur Zeuge, nicht Kläger, und geht selbst in einem Rechtsstreit keinerlei wirtschaftliche Risiken ein.

So sieht der Regelfall aus, wie ihn inzwischen ca. 25 % aller niedergelassenen Zahnärzte (Tendenz steigend) erfolgreich praktizieren. Was aber, wenn es in diesem Dreiseitenverhältnis zu Leistungsstörungen kommt?

 

Bonität und Verität

 

Dient der Zahnarzt einem Abrechnungsunternehmen im Rahmen eines Dienstleistungsvertrages eine Honorarforderung zum Kauf an, wird dieses in der Regel zunächst eine Bonitätsprüfung des jeweiligen Patienten vornehmen. Kommt es anschließend zum Forderungsankauf, erhält der Patient direkt vom Abrechnungsunternehmen seine Rechnung. Der Zahnarzt sichert dem Abrechnungsunternehmen mit dem Forderungsverkauf in der Regel zu, dass alle Behandlungen entsprechend den Behand-lungsdaten fachgerecht erbracht wurden und zwischen Arzt und Patient keinerlei Nebenabreden bestehen. Auch das ist der Regelfall.

Problematisch - und teuer - wird es für das Abrechnungsunternehmen dann, wenn sich die erworbene Forderung nicht ohne Weiteres durchsetzen lässt, etwa weil der Patient Einwendungen gegen die Rechnungshöhe erhebt. Der Zahnarzt hat sein Geld bereits erhalten; statt eingehender Zahlungen muss die Abrechnungsgesellschaft eigenes Geld in die Hand nehmen, um die Forderung zunächst mit anwaltlicher, ggf. gerichtlicher Hilfe durchzusetzen. Müssen solche Rechtsstreitigkeiten nicht gegen einzelne, sondern zahlreiche Patienten geführt werden, wird das Geschäft für das betroffene Abrechnungsunternehmen schnell defizitär. Diese Erfahrung mussten bis heute bereits mehrere (ehe-malige) Vertragspartner des Herrn Dr. L machen.

 

Fallstricke

 

Die Rechtsprechung macht es dem – in der Regel sicher gutgläubigen – Abrechnungsunternehmen zusätzlich schwer, die erworbene Honorarforderung durchzusetzen. Nicht nur, dass der in Anspruch genommene Patient der klagenden Verrechnungsstelle sämtliche Einwendungen aus dem Behand-lungsvertrag entgegenhalten kann, so sind an die Wirksamkeit der Forderungsabtretung weitere Voraussetzungen geknüpft.

Ärzte und Zahnärzte unterliegen gem. § 203 Abs. 1 des Strafgesetzbuches (StGB) der gesetzlichen Schweigepflicht. Eine Weitergabe von Patienten- und Behandlungsdaten an ein gewerbliches Abrechnungsunternehmen ist deshalb nur zulässig, wenn der Patient hierin wirksam eingewilligt hat. Liegt ein solches Einverständnis nicht vor, ist die Abtretung – wegen des Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot – von vornherein unheilbar nichtig, § 134 BGB. In diese Problematik hat sich für mehrere Abrechnungsgesellschaften allerdings ein zusätzliches, zunächst übersehenes Problem gemischt. Zwar wurde im Fall des Herrn L eine schriftliche Einwilligung des Patienten in die Forderungsabtretung in aller Regel gleich zu Behandlungsbeginn eingeholt. Sah die Einverständniserklärung darüber hinaus jedoch eine Weiterabtretung der Forderung seitens der Abrechnungsgesellschaft an eine refinanzierende Bank vor, wurden die Patienten zumeist nicht darüber aufgeklärt, dass in diesem Fall auch die zu Abrechnungszwecken notwendigen Behandlungsdaten an das jeweilige Kreditinstitut übermittelt werden dürfen. In einer solchen Konstellation haben mehrere Gerichte einen Verstoß gegen die gesetzliche Schweigepflicht erblickt mit der Folge, dass die Forderungsabtretung insgesamt als unwirksam erachtet wurde (vgl. BGH, Urteil vom 20.05.1992, VIII ZR 240/91; OLG Karlsruhe, Urteil vom 01.10.1998, 12 U 314/97; AG Mannheim, Urteil vom 21.09.2011, 10 C 102/11).

Das Amtsgericht Hannover ist dieser Rechtsprechung gefolgt und hatte eine (erste) Klage der MCC Medical CareCapital AG mit Urteil vom 23.03.2012 abgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Patient „keine im Wesentlichen zutreffende Vorstellung von Bedeutung und Tragweite der von ihm abgegebenen Erklärung“ habe und die Forderungsabtretung deshalb nichtig sei (421 C 11378/11).

Das Landgericht Hannover hält eine Aktivlegitimation der klagenden Abrechnungsgesellschaft – bislang – selbst dann für gegeben, wenn die refinanzierende Bank in der vorformulierten Einwilligungserklärung des Zahnarztes nicht einmal namentlich erwähnt wird, steht damit allerdings „auf einsamem Posten“. Nach der Auffassung des LG Hannover soll die Einwilligungserklärung „teilbar“, und somit zumindest hinsichtlich der Forderungsabtretung an die Abrechnungsstelle wirksam sein.

Dieser Rechtsauffassung hat beispielsweise das Landgericht Mannheim eine klare Absage erteilt und in seinem Urteil vom 27.04.2012 ausgeführt:

„Nach der Formulierung des Formulars hat die Beklagte gerade nicht 2 verschiedene Einverständniserklärungen abgegeben, sondern lediglich eine einheitlich auf die Weitergabe der Informationen bezogene Einwilligung erklärt, die aus den vorstehend dargelegten Gründen unwirksam ist. Aus diesem Grunde ist eine Trennung in einen wirksamen Teil (bezogen auf die Abtretung an die Klägerin) und einen unwirksamen Teil (bezogen auf die Abtretung an die Bank) nicht möglich. Die Frage einer wirksamen Einwilligung aufgrund einer hinreichenden Belehrung über die daraus erwachsenen Konsequenzen stellt sich daher einheitlich und von Anfang an und macht bereits die Abtretung an die Klägerin unwirksam, da bereits diese nicht auf eine rechtsbeständige Einwilligung gestützt werden kann (…).“ (8 O 286/08, nicht rechtskräftig)

Ähnlich argumentiert das Oberlandesgericht Braunschweig in seinem am 13.09.2012 verkündeten Urteil. Darin heißt es:

„Eine „geltungserhaltende“ Reduktion bzw. lediglich eine Teilnichtigkeit der Abtretung kommt hier nicht in Betracht. Die Erklärungen hinsichtlich der Abtretung und der Einwilligung stehen in einem rechtlich und inhaltlich untrennbaren Zusammenhang, weshalb der Verstoß gegen § 134 BGB in Verbindung mit § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB zur Unwirksamkeit der in der Urkunde enthaltenen Erklärungen insgesamt führt, § 139 BGB.“ (1 U 31/11).

Die klagende Abrechnungsgesellschaft hat gegen dieses Urteil die – zugelassene – Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt (III ZR 325/12). Die Entscheidung des BGH, mit der angeblich noch in diesem Jahr zu rechnen sein soll, wird mit Spannung erwartet. Sollte der Bundesgerichtshof die Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Braunschweig bestätigen, hätte dies folgenschwere Aus-wirkungen – nicht nur für (ehemalige) Patienten des Dr. L.

 

Marc Chérestal

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Medizinrecht

Wilhelm

Rechtsanwälte

Oskar-Winter-Straße 8                                                                                                                                          

30161 Hannover

kanzlei(at)wilhelm-rechtsanwaelte.eu

www.wilhelm-rechtsanwaelte.eu